„Ich hoffe, dass alles anders bleibt…“ Starten in der Krise hat viele Herausforderungen, aber auch Chancen – für Jurist*innen wie für Führungskräfte.

Ein Interview mit Mareike Petrowitsch, General Counsel bei Urban Sports Club, die während der Covid-19-Krise die Funktion „Legal” erstmals im Unternehmen eingeführt hat und seitdem das Team und die Rechtsabteilung weiter aufbaut.

Warum hat Urban Sports Club sich ausgerechnet während der Covid-19-Krise dafür entschieden ein Legal Team aufzubauen?

Diese Entscheidung wurde schon vor der Krise getroffen und dann konsequent weiterverfolgt. Urban Sports Club ist eine Sport- und Wellness-Plattform, über die Firmen und private Mitglieder tausende von Sportanbietern finden und bei diesen in Europa trainieren können. Hier treten sowohl im Partner- als auch Mitgliederbereich viele rechtliche Fragen auf. Die Funktion „Legal” zu integrieren war – nicht nur wegen der Covid-Krise – absolut notwendig. Dieser Ansicht sind die Gründer, Gesellschafter sowie Mitarbeitende. Nicht nur die externen rechtsanwaltlichen Kosten waren viel zu hoch. Das Team brauchte eine interne Ansprechpartnerin und Verantwortliche, die eine aktive und strukturierte Steuerung von rechtlichen Themen übernimmt. Die gesamte Organisation hatte sich vorher selbst geholfen und irgendwie funktioniert das ja auch immer. Aber die Prozesse sind jetzt effektiver, effizienter und kostenbewusster.

Wie lief denn das Intro der neuen Rechtsabteilung ab? War das unproblematisch während der aufkommenden allgemeinen Krise?

Eine neue Funktion vorzustellen und zu integrieren, während zeitgleich an anderer Stelle unser gesamtes Geschäftsmodell durch Corona und die Schließung unserer Partnerstandorte und Sportstätten eingeschränkt wurde, hätte auch zu kontroversen Meinungen führen können. Das war uns sehr bewusst. Hinzu kommt dann auch oft noch die allgemeine Abneigung gegenüber Rechtsanwälten und -anwältinnen, gepaart mit Vorurteilen und Bedenken, ob jetzt alles übertrieben geregelt und verkompliziert wird. Am Ende wurde ich aber mit offenen Armen und viel Vertrauen empfangen.

Kannst du denn trotzdem die potentiellen Bedenken nachvollziehen?

Ja, absolut. Ich werde schnell ungeduldig, wenn der Pragmatismus und der Gedanke an die Wirtschaftlichkeit fehlt. Es wird oft zu wenig zugehört und der Mandant oder die Mandantin nicht in den Mittelpunkt gestellt. Externe Rechtsberatung schafft diesen Client-centric Ansatz oftmals besser, weil sie Dienstleister sind und die Konkurrenz groß ist. Ich vermisse oftmals Neugierde, Initiative und den Willen, immer wieder aus der Komfortzone herauszutreten. Es wird meines Erachtens keinen Status einer Rechtsabteilung mehr geben, der erarbeitet wurde und einfach nur noch erhalten werden kann. Legal Tech und „more for less” sind nur zwei Gründe, warum ich jeden Tag an Entwicklung, Veränderung und Verbesserung arbeite – ohne dass es jemals ein Ende gibt. Ich will ein lebendes System erschaffen, das sich an neue Anforderungen anpasst und Herausforderungen meistern kann. So wie es von Unternehmen im Allgemeinen auch verlangt wird. Diese wirtschaftliche Resilienz ist in Zeiten von Corona so wichtig wie kaum zuvor. Und das sollte meiner Meinung nach auch für Rechtsabteilungen gelten.

Inwiefern können sich Rechtsabteilungen hier einbringen?

Im Gegensatz zu Externen haben Interne einen holistischen Ansatz, kennen Strukturen, Dynamiken und Menschen besser, verfolgen Entwicklungen und bekommen aus sämtlichen Abteilungen Resonanzen mit. Insbesondere in der derzeitigen Krise zeigen sich aber insbesondere die Stärken von Juristen und Juristinnen: strukturieren, organisieren, Überblick behalten und auch in chaotischen Zeiten nicht den Kopf verlieren. Oft ist man neben dem Tagesgeschäft auch Management-Beraterin für eine Vielzahl von Belangen. Ich bin da flexibel.

Wie sah denn der Alltag in der Aufbauphase bei Urban Sports Club aus?

Bei Urban Sports gab es verschiedene Herausforderungen: Es gibt die „normalen” Aufbauarbeiten, die eine neue Rechtsabteilung mit sich bringen. Das ist zum Beispiel ein möglichst einfacher bzw. barrierearmer Zugang zum Legal Support für die gesamte Organisation und die Einführung eines Legal Management Tools. Letzteres zum Zweck eines Single-Source-of-Truth, Data Authority, Legal Spend und Critical Date Managements. Daneben warteten andere Grundlagen wie das Aktualisieren von Standardverträgen oder

Themen, die vorher in anderen Abteilungen lagen wie z.B. die Kommunikation mit den Gesellschaftern und Investoren. Eine große Herausforderung war das Corona-Krisenmanagement. Projektmanagement gehört mittlerweile zu einer gut organisierten Rechtsabteilung. Deswegen haben wir auch einen ausgebildeten Projektmanager im Team. Juristen haben oft die Fähigkeiten, eine scheinbar nicht zu bewältigende Informationsflut und komplexe Anforderungen so aufzuarbeiten und zu strukturieren, dass es leichter verdaulich ist und den Fokus auf die wesentlichen Punkte lenkt. Diese interne Dienstleistungsmentalität ist mir wichtig.

Wie setzt ihr in der Abteilung diese Themen um?

Ich glaube fest daran, dass Geschwindigkeit und Pragmatismus bei unseren reaktiven Verantwortlichen maßgeblich sind. Wir versuchen einfache Anfragen sehr schnell zu beantworten, damit unsere Kollegen genauso schnell wieder weiterarbeiten können. Wir antizipieren und bereiten Antworten auf Fragen vor, die noch gar nicht gestellt wurden. Unsere Antworten beinhalten auch konkrete Formulierungsvorschläge oder Vorlagen, die direkt verwendet werden können und die wir in „natürlicher Sprache” mit wenig Legalese schreiben.

Welche Aufgaben geht Ihr neben den alltäglichen Anfragen an?

Wir arbeiten auch pro-aktiv und gestaltend. Wir identifizieren zum Beispiel Blind Spots im Unternehmen oder auch wiederkehrende Fälle, die standardisiert bearbeitet werden können – wenn möglich, sogar automatisiert und digitalisiert. Das ist nicht unbedingt innovativ, sondern oftmals „nur” Prozesserstellung und Prozessoptimierung. Wir arbeiten zurzeit z.B. an neuen Standardverträgen, die dann auch anhand neu eingeführter Workflows und Unterschriftenrichtlinien (Delegation of Authority) ausgefertigt werden. Dies technisch unterstützt mit digitalen Unterschriften. Langfristig bauen wir aber auch ein Self-Service-System für rechtliche Fragen auf, mit dem sich unsere gesamte Organisation bei Standardfällen selbst helfen kann. Damit werden wir Ressourcen freiräumen können, die wir dann für komplexere Sachverhalte einsetzen können, die mehr Kreativität verlangen.

Das ist nicht die erste Rechtsabteilung die Du konzipiert. Ist der Aufbau immer der gleiche?

Bei Urban Sports Club ist auch alles genau auf Urban Sports zugeschnitten. Geschäftsmodell, Strategie, Vision, Kultur und Menschen sind zu verschieden und bedürfen eines individuellen und auf die Bedürfnisse des Unternehmens angepassten Plans. Nur so kann die Rechtsabteilung das Unternehmen bestmöglich heute, morgen und übermorgen unterstützen.

Wie hast Du die Covid-19 Krise bislang als in-house Legal erlebt?

Insgesamt wird mir durch das Team bei Urban Sports Club extrem viel Dankbarkeit entgegengebracht und die Kooperation funktioniert sehr gut. Die Umstände der Covid-Krise hatten uns trotzdem zunächst kräftig durchgeschüttelt. Als Plattform-Betreiber stehen wir natürlich immer im Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen, die zu managen sind. Und es geht dabei natürlich nicht nur um unsere Existenz, sondern auch die unserer Mitarbeitenden, der Partnerstudios und unserer Mitglieder. Das ist nicht immer ganz einfach, auch wenn unsere Partner insbesondere im letztzen Sommer wieder zwischendurch öffnen und wir unser Online-Angebot weiter ausbauen konnten. Wir waren auf den zweiten Lockdown auch sehr gut vorbereitet. Unsere Verträge hatten natürlich keine Pandemie berücksichtigt, sodass wir hier mit Partner und Anbietern neue Lösungen finden mussten. Das hat im Ergebnis gut funktioniert. Aber auch Ad-hoc-Kommunikation in verschiedenste Richtungen birgt manchmal rechtliche Stolpersteine, bei denen wir behilflich sein können – intern wie extern.

Die Zukunft ist dennoch vielversprechend: Zum einen wissen wir, dass unser Online-Produkt gerade in Lock-Down-Zeiten für viele unserer Members besonders wichtig waren, um diese bei ihrer physischen und mentalen Gesundheit zu unterstützen. Zum anderen konnten wir bereits vor dem ersten Lockdown sehen, dass viele unserer Mitglieder mit flexibleren Arbeitsmodellen auch mehr Sport machten und die Bedeutung von Sport für gesunde Mitarbeitende immer bewusster wahrgenommen wird. Da bereits jetzt schon viele Unternehmen angekündigt haben, auch weiterhin Homeoffice oder Remote Work zu ermöglichen, gehen wir davon aus, dass sportliche Aktivitäten und Wellbeing einen immer höheren Stellenwert einnehmen werden, z. B. als Firmensport zur Stärkung des Teamgeists und sich auch noch besser in den Alltag integrieren lassen. Wir wissen, dass die Zukunft Hybrid ist – für unsere Mitarbeitenden wie auch für unser Produkt. Und wir sind durch Covid besser denn je auf großes Wachstum vorbereitet. Im Moment sind wir aber einfach sehr froh und dankbar, dass unsere Sportstätten wieder auf haben und natürlich auch, dass wir trotz der Krise Investoren überzeugen konnten in uns zu investieren – neue Investoren wie ProSiebenSat1 sowie unsere Bestandsinvestoren. Darauf sind wir stolz.

Gab es noch weitere Herausforderungen neben den klassisch juristischen?

Ja, es kamen auch noch Ansprüche als Führungskraft und arbeitsorganisatorische Anforderungen hinzu. Spätestens mit dem ersten Lockdown wurden Anwesenheits-Fetischisten in jedem Unternehmen auf der Welt in die Knie gezwungen. Privates nicht mit der Arbeit zu vermischen hat zumindest bei erzwungenem Home-Office längst ausgedient, ob geliebt oder gehasst. Aber das war für viele ohnehin schon nur noch bloßer Schein, denn die maximale Flexibilität, die von Mitarbeitern oftmals verlangt wird, war doch sowieso schon in die Wohnzimmer eingezogen. Getreu dem Motto: Work is not a Place anymore. Das ist für viele Kollegen und Kolleginnen eine Herausforderung, entweder weil sie beengt wohnen, Kinder betreuen oder den Alltag als Orientierung vermissen und vieles mehr. Das muss insgesamt, aber auch individuell von uns als Führungskräfte-Team berücksichtigt werden. Ein unternehmensweites Workout hilft da manchmal schon ein wenig, um den Zusammenhalt zu stärken und damit wir uns alle daran erinnern, warum wir unseren Job gern machen.

Was hat sich dann Deiner Meinung nach für Führungskräfte durch Corona geändert?

Kontroll-Freaks mussten spätestens mit Corona endgültig kapitulieren – denn überall den Mitarbeitenden virtuell über die Schulter zu schauen, wurde dann doch irgendwann schwierig. Hierarchisch-konservative Führungskräfte haben sicherlich viel gelernt. Aber genauso sollten Mitarbeitende mehr Mitgefühl für ihre Führungskräfte entwickeln, denn nur, weil diese viel Last tragen, heißt es nicht, dass diese Lasten nicht schwer ist. Führung ist nicht allein mehr die Verantwortung derer, die per Titel dazu verpflichtet sind. Radikale Selbstverantwortung – ohne rücksichtslos und egozentrisch zu sein – mit einer gewissen Portion Barmherzigkeit für sich selbst und andere, wird helfen, neue Leitbilder zu formen. Das hat für mich diese Krise glasklar gemacht. Wir mussten alle gemeinsam Lösungen finden, es gab keine andere Option. Corona zwingt uns aufeinander zuzugehen, mit Vertrauen und viel Rücksicht füreinander.

Es sind keine leichten Zeiten, weder für Mitarbeiter noch für Unternehmen. Es geht für mich nicht darum, dass wir uns alle neu erfinden und zwanghaft optimistisch sein müssen. Es geht wie so oft um alte, aber gute Werte in Neuem Gewand: wertschätzender Umgang, sinnvolle Arbeit, leben und leben lassen. Ich glaube, dass spätestens die Krise beweisen wird, dass wir schwierige Dinge tun können. Das ist auch eine wichtige Erfahrung für Urban Sports, da das Unternehmen kaum vorher Krisen zu bewältigen hatte. Ich glaube, dass wir viel stärker, strukturierte und robuster nach der Krise sein werden. Diese Fähigkeiten werden uns bei den Herausforderungen der Zukunft ein guter Begleiter sein wird. Jeder kann von Veränderung halten, was er will. Jeder darf hoffen, dass es wieder zurück ins „Normale Leben“ geht. Ich habe viel gelernt und bin sehr stolz auf das gesamte Team, wie gut wir alles bislang gemeinsam gemeistert haben. Für mich gilt überspitzt gesagt: Ich hoffe, dass alles anders bleibt und ich freue mich darauf.