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Dr. Christian Herles von Baer Legal: “Wichtiger als die Form der Rechtsberatung sind ein gemeinsames Verständnis der Situationen, Ziele und Handlungsmöglichkeiten. Kurzum: Die Chemie muss stimmen.”

Legal-as-a-Service und Legal Interim – nur einige, stets wieder auftauchende Begriffe des heutigen Rechtsmarkts, aber was bedeutet Legal-as-a-Service überhaupt? Wann lohnt sich der Einsatz von Legal Interims Jurist:innen? Braucht es hierzu Erfahrungswerte aus der Unternehmenswelt? Herr Dr. Christian Herles berichtet nicht nur, aus welchen Gründen er sein neues Sachbuch “Unternehmensinterne Rechtsberatung” geschrieben hat, sondern kombiniert seine tiefreichenden juristischen Einblicke aus Start-Up- und Unternehmens – Welt mit den Erfahrungen aus der klassischen Kanzlei, um so Antworten auf diese Fragen zu geben und letztlich eine aufgeschlossene, strukturierte und moderne juristische Arbeitsweise zu statuieren, die vor Legal Innovation die Augen nicht verschließt.

Herr Dr. Herles, “Konzern oder Kanzlei?” – eine Frage, die bei Jurist:innen nach dem ersten oder auch zweiten Staatsexamen immer aufdringlicher in den Vordergrund rückt. Während einige durch diese Frage in einen lästigen Zwiespalt geraten, haben Sie sich letztlich für beide Pfade entschieden.
Insofern haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Erfahrungen in beiden Universen gesammelt. Was konnten Sie aus dem Arbeitsalltag der Kanzlei für die Arbeit in Start-ups mitnehmen?

Diese beiden Pfade haben sich bei mir tatsächlich immer wieder ergänzt und gekreuzt. Ich muss das vielleicht kurz erläutern. Seit meinem Studium war ich durchgehend als niedergelassener Rechtsanwalt zugelassen und habe zunächst in einer Münchener Kanzleiboutique angefangen. Ich wechselte von dort aber in die Unternehmenswelt. Zunächst zu EGYM, einem Start-ups für Fitnesstechnologie, in welchem ich den Bereich Recht aufgebaut habe und später zu Doctolib, einem der größten europäischen eHealth – Start-ups. Nun bin ich wieder in die Kanzlei – Welt gewechselt. Bei der Kanzlei Baer Legal handelt es sich zwar nicht von der Mandatsstruktur und der Positionierung im Markt, aber von der Arbeitsweise und der Philosophie um eine sehr moderne Kanzlei, die selbst in gewisser Weise die Mentalität eines Start-ups lebt. Bei dem Schritt zurück in die Kanzlei – Welt war ich in der Tat auch durch den Gedanken motiviert, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Die Arbeitsabläufe in einer traditionellen Kanzlei sind stark strukturiert und auf ein möglichst sicheres Ergebnis ausgelegt. Der Arbeitsalltag in Start-ups dagegen ist von Schnelllebigkeit und Pragmatismus geprägt. Die Herausforderung, aber auch der Reiz war für mich immer, beides zu vereinen. 

Nachdem Sie als klassischer Anwalt in einer Kanzlei gearbeitet haben, sind Sie als Unternehmensanwalt bei EGYM und später bei Doctolib eingestiegen. Doctolib ist ein nach wie vor stark wachsendes französisches eHealth – Unicorn, welches Software anbietet, die unter anderem die Online – Terminplanung als Patient:in bei Ärzt:innen sowie telemedizinische Videosprechstunden ermöglicht. Wie kamen Sie damals zu Doctolib?

Das hatte mehrere Gründe. Ich wusste nach meinem Wechsel von der Kanzlei zu EGYM, dass die Welt digitaler und innovativer Unternehmen Spaß macht und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Zugleich wollte ich aber auch von einem Unternehmen lernen, das bereits einen sehr erfolgreichen Weg zurückgelegt hat und professionelle Strukturen entwickelt. Diese Phase kann man als Übergang vom Start-ups zum Scale-up bezeichnen. Auf dem Weg zum Großunternehmen muss ständig und alles hinterfragt werden, das gilt auch für den Bereich Recht. In der Rechtsabteilung bei Doctolib konnte ich viel lernen. Der zweite Grund war, dass ich bei Doctolib ein spannendes Fachgebiet vertiefen konnte, das auch bei EGYM schon relevant war: Innovation in der Gesundheitsvorsorge und und der Umgang mit Gesundheitsdaten. Das ist aus meiner Sicht eines der wichtigsten Felder für Innovation überhaupt. Hinzu kam die Marktsituation Anfang 2020. Der Corona-Lockdown war ein schwerer Schlag für die Fitnessindustrie, aber ein Türöffner für eHealth. Schließlich war ich schon immer ein Fan der französischen Kultur. Mit meiner Familie habe ich dort seit jeher ein Feriendomizil und auch meine Wahlstation konnte ich nach Paris legen. In einem französischen Team zu arbeiten – meine erste Reporting-Linie ging auch direkt nach Paris – hat mich gereizt. Und tatsächlich war der Kontakt zu meinen französischen Kolleginnen und Kollegen ein Highlight, aus dem sich auch Freundschaften gebildet haben.

Seit dem 01. September 2022 sind Sie fester Bestandteil der Kanzlei Baer Legal. Warum ging es für Sie zurück in eine Kanzlei oder sollte man eher fragen – warum haben Sie der Start-up-Welt den Rücken zugekehrt?

Den Rücken kehre ich der Start-up-Welt nicht, ganz im Gegenteil. Zunächst betreue ich bis Jahresende weiterhin einige Aufgaben bei Doctolib, da mir ein reibungsloser Wechsel von diesem großartigen Unternehmen wichtig ist. Zum anderen wende ich mich aber auch gerade durch den Wechsel in die Kanzlei Baer Legal der Sart-Up-Welt vermehrt zu. Bei Baer Legal teilen wir die Vision, Innovation und Rechtssicherheit zu vereinen. Wir sind auf die Beratung von digitalen und innovativen Unternehmen spezialisiert und bieten dort eine umfassende Betreuung als ausgelagerte Rechtsabteilung an. Dieser Bereich lässt sich als Legal-as-a-Service bezeichnen. Der Start-up-Welt bleibe ich dadurch treu. Die Aufgabe, meine Erfahrungen aus Start- und Scale-ups in die Beratung für Gründer und Unternehmer einzubringen, hat mich gereizt.

Aus welchen Gründen haben Sie sich für Baer Legal entschieden?

Die Kanzlei wurde von Stephan Bücker und Stefan Räthe 2022 gegründet. Mit Stephan habe ich schon zu EGYM-Zeiten zusammengearbeitet, er war damals schon unser Experte in markenrechtlichen Themen und hat gute externe Rechtsberatung vorgelebt. Aus der Zusammenarbeit hat sich eine Freundschaft entwickelt. Und auch fachlich denken wir ähnlich. Als er vorgeschlagen hat, bei Baer Legal neben IP und M&A nun einen Bereich für IT und Commercial aufzubauen, habe ich das als große Chance gesehen.

Inwiefern können Sie Ihre Expertise aus dem Start-up in die Kanzlei einbringen?

Erfahrungen aus der Innenansicht helfen dabei, Mandanten zu verstehen. Ich kenne die Dynamik und die Herausforderungen im Alltag von Start-ups. Neudeutsch würde man dies vielleicht auch als “Vibes” bezeichnen. Auch Stefan Räthe hat ja eine langjährige Erfahrung als Inhouse-Anwalt. Bei Baer Legal wollen wir daher auch unsere eigene Arbeitskultur von diesen Erfahrungen inspirieren. Agiles Zusammenarbeiten gehört ebenso dazu wie eigene Innovation, sei es im Bereich der Rechtsfortbildung selbst – Stephan schreitet z.B. im Bereich Metaverse schnell voran – oder im Bereich Compliance und Legal Tech.

Nach Einblicken in die Kanzlei- und Start-up – Welt haben Sie am 10. Mai 2022 Ihren Einstand in der juristischen Autorenschaft gefeiert. Ihr Buch Unternehmensinterne Rechtsberatung wurde veröffentlicht. Was hat Sie dazu bewogen, ein Sachbuch über dieses Thema zu schreiben?

Als ich nach meinem Berufseinstieg in die Unternehmenswelt wechselte, war ich selbst auf der Suche nach einem praktischen Einstiegswerk für Unternehmensjurist:innen. Die theoretischen Grundlagen der juristischen Ausbildung sind genauso wichtig wie die praktische Erfahrung der Kanzleitätigkeit. Dazu bedarf es aber auch eines Verständnis über die Arbeitsweise von Jurist:innen in Unternehmen und wirtschaftsrechtlichen Basics. Diesen Erfahrungsschatz habe ich mir dann über Jahre selbst aufgebaut und wollte ihn mit der Publikation teilen. Das Buch soll als Einstiegswerk für angehende Unternehmensjurist:innen dienen, aber auch als Überblickswerk. 

Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie im Rahmen des Konzipierens und Erarbeitens Ihres Buchs über die unternehmensinterne Rechtsberatung gewinnen?

Im Schreibprozess ist mir zunächst aufgefallen, wie abwechslungsreich und vielseitig die unternehmensinterne Rechtsberatung ist. Als Inhouse-Jurist:in ist man immer auch Generalist:in, denn alle rechtlichen Belange des Unternehmens schlagen als erstes in der Rechtsabteilung auf. Gleichzeitig ist viel Spezialwissen erforderlich. Das macht es spannend. Für mich selbst war das Buch auch eine gute Gelegenheit, die letzten Jahre zu reflektieren, Gespräche mit Kolleg:innen zu führen und die eigenen Gedanken zu sortieren.

Mit dem Fortschritt durch die Digitalisierung, innovativen Technologien und Cloud – Lösungen verändern sich auch die Bedürfnisse der Mandant:innen. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass Mandate nicht nur juristischem Fachwissen bedürfen, sondern vielmehr Erfahrung und Wissen in Vertrieb, Geschäftsentwicklung, Procurement, Marketing und strategisch-unternehmerischen Handlungen abverlangen. Dies gibt Anlass, dass auch juristische Betriebsmodelle komplett neu gedacht respektive konzipiert werden. Seit einiger Zeit liegen hierbei die sog. As-a-Service Modelle im Trend. Welche Vorteile bringt das Legal-as-a-Service Modell mit sich?

„As a Service“ meint auch in diesem Kontext eine ganzheitliche Leistung, die keine eigenen Investitionen benötigt. Legal-as-a-Service bezieht sich aber nicht nur auf ein wirtschaftliches Modell der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kanzlei. Es beschreibt auch ein inhaltliches Selbstverständnis für eine ausgelagerte Rechtsabteilung, die begleitet, koordiniert und proaktiv unterstützt. Sie ist damit auch Teil einer Compliance-Struktur. Sie haben es richtig beschrieben, eine gute wirtschaftsrechtliche Beratung muss einen ganzheitlichen Ansatz haben.

Sie greifen in Ihrem Buch das Thema der Einbindung externer Rechtsanwält:innen auf. So schreiben Sie beispielsweise auf Seite 35: “Bei der Koordinierung externer Anwälte agiert der Unternehmensjurist als Mandant und Anwalt in einer Person. […] Die Vielzahl von Angelegenheiten lässt sich ohne Mandatierung von externen Rechtsanwälten nicht oder nicht effizient handhaben.” Wann ist eine Beauftragung von sog. Interims – Jurist:innen insofern wirklich sinnvoll?

Eine pauschale Antwort hierauf gibt es nicht (Oder wie wir Justusten gerne sagen: “Es kommt darauf an”). Externe und interne Anwält:innen haben unterschiedliche Aufgaben und Ansätze. Externe Anwält:innen haben als Außenstehende einen nüchternen Blick und eignen sich daher auch gut als Prozessvertreter. Sie können zudem punktuell vertiefte Analysen und Lösungsansätze erarbeiten. Interne Jurist:innen sind dagegen in die Dynamik der Entscheidungsprozesse eingebunden, stellen generalistische Ansprechpartner:innen dar und gestalten nicht nur eine rechtliche Lösung, sondern das Unternehmen selbst mit. Interims und Secondees können hier einen guten Kompromiss darstellen. Ihr Einsatz ist aber zeitlich begrenzt und bietet sich eher situationsbedingt an. Wichtiger als die Form der Rechtsberatung sind ein gemeinsames Verständnis der Situationen, Ziele und Handlungsmöglichkeiten. Kurzum: Die Chemie muss stimmen.

Wie wird der Rechtsmarkt Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussehen?

Vielschichtiger als heute. Der Umbruch der Arbeitswelt macht vor der Rechtsberatung keinen Halt. Das betrifft auch, aber nicht nur den Bereich künstlicher Intelligenz. Der Einsatz von Legal Tech wird viele Arbeitsschritte automatisieren. Das wird die Tätigkeit von Jurist:innen aber nicht ersetzen, sondern verändern. Die menschlichen Komponenten werden an Bedeutung gewinnen. Corporate und Social Governance und eine auf Compliance abzielende Unternehmenskultur stellen zunehmend einen Wertfaktor für Unternehmen dar. Das gilt aber nur dann, wenn diese Werte auch gelebt werden. Wirtschaftsrechtliche Beratung wird daher zunehmend nicht bei der Erteilung von Rat enden, sondern von guter Kommunikation abhängen. Zugleich wird eine wachsende technische und regulatorische Komplexität zu mehr Spezialisierung führen. Wichtig ist mir bei dieser Frage aber noch ein weiterer Aspekt. Die Entwicklung des Rechtsmarktes darf sich nicht auf Anpassungen an technische Entwicklungen beschränken. Der Rechtsmarkt darf sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Vielmehr müssen wir dazu beitragen, dass Antworten auf die immensen Umbrüche menschlichen Zusammenlebens gefunden werden. Das ist eine ethische Aufgabe für die Jurisprudenz, die uns keine Technologie abnehmen wird. Rechtsgestaltung ist also ebenso wichtig wie Rechtsanwendung. Das war schon immer die Aufgabe von Jurist:innen und das wird auch in 10 Jahren der Fall sein. 

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