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Sebastian Hartmann, fokussiert sich auf die Veränderung der Professional Services-Branche und den Einfluss von Technologie und neuen Geschäftsmodellen

Sebastian Hartmann ist seit 15 Jahren Unternehmensberater für Strategie und Operations – sowohl für DAX und Fortune 500-Unternehmen als auch für Professional Services Firms (einschließlich Law Firms) und B2B Dienstleister. Für die KPMG International ist er als Chief Technology Strategist tätig und außerdem als Mitglied des Führungsteams für Strategic Relations & Investments in Allianzen, Innovationen und Transformationsentscheidungen und -programme des globalen KPMG-Netzwerks maßgeblich eingebunden. Der Fokus seiner Arbeit liegt dabei auf der Veränderung der eigenen Professional Services-Branche und dem Einfluss von Technologie und neuen Geschäftsmodellen. Als Redner, Autor und Gastdozent treibt er außerdem den Diskurs zur digitalen Transformation von Berater*innen, Prüfer*innen, Rechtsanwält*innen und anderen Wissensarbeiter*innen voran und sucht nach Antworten für die dabei entstehenden Führungs- und Managementfragen in Professional Services Firms. An der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt studierte er BWL (Dipl.-Kfm.) mit den Schwerpunkten Dienstleistungsmanagement, Internationales Management und Wirtschaftsinformatik.

Als Experte für Innovationen im Professional Service Firms wird Sebastian Hartmann an dem Panel „Explore or Exploit? Innovation beidhändig vorantreiben“ auf der diesjährigen Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession teilnehmen.

In welcher Situation befinden sich Professional Service Firms derzeit hinsichtlich der Veränderung von Geschäftsmodellen?

Professional Services haben in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass sie relativ wenig anfällig für kurzfristige Veränderungen sind – und so sind auch die meisten Beratungen, Prüfer, und Kanzleien verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen. Es ist jedoch ebenso unstrittig, dass sich der Markt und auch die Geschäftsmodelle in einem deutlich wahrnehmbaren Wandel befinden. 

Verschiedene Trends, wie beispielsweise der Einsatz von Cloud- und Kollaborationstechnologien, aber auch Maschinelles Lernen, oder die Flexibilisierung von Ressourcenmodellen und das Auftauchen neuer Dienstleister*innen und Lösungen bzw. die Konkurrenz durch reine Technologieanbieter*innen wurden weiter beschleunigt. Anbieter*innen und ihre Kund*innen konnten gleichermaßen feststellen, was digital möglich ist – ausnahmslos und weil wir alle es mussten. Und tatsächlich lässt sich die Veränderung der Geschäftsmodelle nun auch in der Breite der einzelnen Professional Services Marktsegmente deutlich feststellen. Die altbekannten Stunden- und Tagessätze verschwinden deswegen nicht notwendigerweise, aber das Wachstum verschiebt sich und findet zunehmend in daten- und technologiegestützten Modellen statt. 

Das reflektiert sich in den absolut und relativ steigenden Ausgaben für Technologie bei den Professional Services Firms: Ungefähr zwei Drittel der Firmen, welche von der KPMG im Rahmen unseres alljährlichen CIO Survey  (Harvey Nash / KPMG CIO Survey 2020) befragt wurden, geben an, stark in die eigene digitale Transformation zu investieren. Dabei steht vor allem die eigene Wertschöpfungskette, also das Front-Office und damit die Art und Weise der Leistungserbringung und das Geschäftsmodell, im Fokus. Gartner erwartet in dem Zusammenhang, dass 50% aller Beratungsleistungen bis 2025 auf digitalen Produkten beruhen werden. 

Wie sieht die nächste Generation von Geschäftsmodellen für Professional Services Firms aus?

Ich denke, dass wir es mit zwei aufeinander aufbauenden Veränderungskurven zu tun haben: Einerseits sieht man, dass Anbieter*innen mit Festpreisen oder erfolgsabhängigen Modellen sowie Managed Services stärker ins Risiko gehen – und das findet ja auch schon sehr lange statt. Das bedeutet, dass hierfür Professional Services Firms ihre Wertschöpfung besser und zuverlässiger im Griff haben müssen, was durch Modularisierung (das Aufbrechen von Tätigkeiten) und Standardisierung unterstützt wird. Daraus ergibt sich eine zunehmende Effizienz und bessere Skalierbarkeit – und somit ein weiterer Grund, warum immer mehr Anbieter gerne durchsatz- oder ergebnisorientierte Modelle anbieten. Letztlich verhält sich der menschliche Ressourcen- und vor allem Zeiteinsatz dann nicht mehr so stark proportional zum Umsatz. Nichtsdestotrotz würde ich hier von eher traditionellen oder einfach schon länger bekannten Geschäftsmodellen für Professional Services sprechen.

Die zweite sich zeigende Evolutionskurve der Geschäftsmodelle ist hingegen vor allem von Technologieeinsatz und der Nutzung digital verfügbarer Daten geprägt. Hier ist die Skalierbarkeit des Geschäfts nochmal deutlich höher. Typische Modelle sind Managed Services mit sehr hohem Automatisierungsgrad. Auch sind „Business-Process-as-a-Service“ (BPaaS), „Platform-as-a-Service” (PaaS) oder gar “Software-as-a-Service” (SaaS) zunehmend weiter verbreitete Ansätze. Manche Firmen stellen sich auch als offene, fluide oder auch eng gemanagte Netzwerke auf, in denen einzelne Knotenpunkte (oft einzelne Firmen) sich nur auf bestimmte Teilaspekte der Leistungserbringung konzentrieren und andere sich als Designer oder Koordinatoren aufstellen. Und letztlich machen so auch die plattform-basierten Geschäftsmodelle vor unserer Branche keinen Halt mehr. Alle diese Modelle findet man übrigens heute schon im Markt – und bei den großen Playern, wie z.B. den Big Four, auch unter dem gleichen Dach vereint. Sie alle verbindet der massive Einsatz von Technologie, die damit nicht mehr nur als Kostenfaktor im Backoffice zu sehen ist, sondern selbst zum Erfolgs- und Umsatztreiber wird. Damit einher gehen auch neue Fähigkeiten und Rollen, die es in den Firmen braucht. Das wird nicht ohne Einfluss auf die oftmals als Partnerschaften agierenden Strukturen, Anreizsysteme, Finanzmodelle und v.a. auf die Kultur sowie Management- und Führungsansätze bleiben.

Inwieweit sind aus Ihrer Sicht Rechtsdienstleistungen skalierbar? 

Zunächst einmal würde ich die These aufstellen, dass die Skalierbarkeit sich über weite Teile des Rechtsmarktes erhöhen lässt. Je regel- und datenbasierter diese Leistungen sind, desto besser lassen sich auch Technologien, wie Maschinelles Lernen, einsetzen. Das beeinflusst übrigens sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite und gilt für alle Professional Services.

Die eben skizzierten Evolutionskurven stellen genau diesen Zusammenhang basierend auf den Geschäftsmodellen dar. Im Übrigen spiegelt sich das auch in den Bewertungen von Professional Services Firms wider – was bei Ver- oder Zukäufen, aber auch Börsengängen und der Finanzierung neuer Wachstumsfelder schnell interessant wird. 

Mal zu den technischen Möglichkeiten ein praktisches Beispiel aus der Forschungsarbeit meiner Frau (Prof. Dr. Julia Hartmann an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht), die sich mit den regulatorischen Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit und damit verbundenen Herausforderungen und Strategien für Unternehmen auseinandersetzt – was thematisch übrigens für Kanzleien, Steuer- und Unternehmensberater sowie Prüfer gleichermaßen ein immer spannenderes Geschäftsfeld ist: Sie hat selbst mit Kolleg*innen aus den USA hunderte Jahresabschluss- und Nachhaltigkeitsberichte nach bestimmten komplexen Merkmalen bzw. Aussagen untersucht und manuell kategorisiert. Dann haben sie die Daten in ein Machine Learning Modell überführt und einen Algorithmus trainiert, der diese manuelle Arbeit nun relativ genau automatisch verrichtet. So lassen sich beispielsweise Compliance-Anforderungen mit Gesetzen und Richtlinien weitestgehend automatisiert prüfen – die Tätigkeit und ihr zugrundeliegenden Logiken sind dabei durchaus komplex, die Automatisierung ließ sich hingegen geradezu erschreckend schnell und kostengünstig in einer Cloud-Plattform programmieren und realisieren.

Von daher würde ich die Möglichkeiten heute gar nicht mehr auf einzelne Themengebiete einschränken. Die Beispiele in der Praxis erstrecken sich ja vom Arbeitsrecht, über M&A, bis hin zu Compliance, usw. bis in grundlegende Workflows der anwaltlichen Tätigkeit und auch administrative Prozesse. Es verbreitern sich also für alle Marktteilnehmer*innen die strategischen Optionen und die Brandbreite dessen, was die jeweilige Kanzlei ausmacht, was sie anbietet und wie sie arbeitet. Darin liegt die Chance – aber auch die Bedrohung, z.B. durch gänzlich neue Spieler, andere Branchen (allen voran die Technologieunternehmen selbst) und sich verändernde Anforderungen der Mandant*innen.

Die Voraussetzung, um davon zu profitieren, sollte ein Bewusstsein für die Veränderung selbst sein, die Öffnung nach außen, Neugier und Lernwille, dauerhafter Raum für Experimente, Durchhaltevermögen und die Bereitschaft die altbekannten Denkmuster und Erfolgsrezepte radikal in Frage zu stellen.

Was bedeutet das für die Führung von Professional Service Firms, insbesondere Kanzleien?

Ich denke, dass sich die geforderten Fähigkeiten, die eine Kanzlei mitbringen muss, um erfolgreich zu sein, bereits verändern – und dieses Bild wird sich noch verschärfen. Es erstreckt sich außerdem über alle Managementdimensionen. Hier mal ein paar Fragen entlang dieser Dimensionen, die sich Kanzleien jeder Größenordnung m.E. stellen sollten:

  1. bzgl. ihrer Strategie: Was für eine Kanzlei ist man heute – und wie möchte man sich weiterentwickeln, um erfolgreich und relevant zu sein? Mit wem konkurriert man dann eigentlich?
  2. bzgl. der Kund*innen und Lösungen: Wem hilft man eigentlich genau bei welchen Herausforderungen? Und wie kann diese Leistung optimal erbracht werden (aus Kund*innen- und Mitarbeiter*innensicht)?
  3. bzgl. der Mitarbeiter*in und Kultur: Wie verändert sich die Zusammenarbeit – intern wie extern? Wie entwickelt sich die Kultur der Kanzlei weiter und bleibt wettbewerbsfähig?
  4. bzgl. Organisation: Welche Fähigkeiten werden künftig benötigt und erfolgskritisch sein? Wie lassen sich diese Fähigkeiten systematisch entwickeln? Welche Strukturen und auch externen Netzwerke braucht es dafür?
  5. bzgl. der Daten und Technologie: Welche Rolle spielen Daten und Technologie künftig im Geschäftsmodell und Wettbewerb? Wie reflektiert sich das beispielsweise in den Management- und Kostenstrukturen?
  6. bzgl. des ökonomischen Modells der Kanzlei: Wie wird die Kanzlei gesteuert? Welche Kennzahlen sind künftig relevant? Was sind die Investitionsanforderungen? Wie verändern sich die Cashflows in anderen Geschäftsmodellen?

Wer jetzt nicht alle Antworten auf diese Fragen parat hat, ist nicht morgen pleite. Aber man sollte schnell aktiv werden. Das Managementhandbuch für die Zukunft der Professional Services Branche ist vielleicht noch nicht geschrieben – aber es ist jetzt und heute in der Entstehung. Und es wird nicht mehr viel mit David Maisters „Managing the Professional Service Firm“ gemein haben, denke ich. Letztlich ändert sich dafür unsere Wertschöpfungskette zu umfassend, als dass die alten Erfolgsrezepte noch in der Fläche greifen können. 

Die Veränderung ist ja auch schon sehr spürbar: Man braucht sich nur einmal die Vielzahl an Stellenausschreibungen und Rollenbezeichnungen anzuschauen, die im Markt ständig gesucht werden: Legal Project Manager, Designer, Programmierer oder Legal Engineers und Allianz-Manager, um nur mal ein paar Beispiele aufzuzählen. Rechtsdienstleistungen haben sich also bereits geändert.

Was bedeutet das für Karrierepfade in Kanzleien?

Interessanterweise kämpfen Professional Services Firms überall mit einem generellen Mangel an Ressourcen, also meist noch immer Mitarbeiter*innen – und insgesamt der ausreichenden Entwicklung benötigter Fähigkeiten, die sie in den traditionellen Geschäftsmodellen bisher oft nur eingeschränkt entwickeln konnten. Fast zwei Drittel der Firmen gaben in unserer letzten weltweiten Umfrage (Harvey Nash / KPMG CIO Survey 2020) dazu an, bereits jetzt im Fortschritt ihrer eigenen digitalen Transformation massiv beeinträchtigt zu sein. Wir reden dabei von Themenfeldern wie beispielsweise dem Management von Produkten, Allianzen und Partnerschaften, digitalen Vertriebskanälen und natürlich auch der Technologie selbst. Das ist auch nicht überraschend, denn selbst namhafte Kanzleien üben ihre Anziehungskraft noch immer eher auf klassische Anwaltsprofile aus. Dabei konkurrieren die Kanzleien heute zusätzlich um andere Talente, wie Informatiker, Projektmanager oder Designer und mit ganz anderen Branchen und Playern, die attraktive Perspektiven und auch Gehälter bieten, wie z.B. Technologiekonzerne und sogar Startups. 

Hier werden die Kanzleien also zügig Antworten finden müssen – und das wird v.a. hinsichtlich der Karrierepfade und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Fall sein müssen. Das geht bis zur Frage nach dem Partnerstatus, der Partnerschaft selbst und den damit verbundenen Paradigmen.

Wer das zuerst schafft, hat auch mittel- bis langfristig die Nase vorne, schätze ich. Wer das nicht tut, sollte sich von seinen Mitarbeiter*innen besser nicht zu intensiv über die langfristige Zukunft der Kanzlei ausfragen lassen – sonst könnte man schnell mit dem Vorwurf dastehen, sich ohne Rücksicht auf die nachwachsende Mitarbeitergeneration an einer Cash Cow (mit jährlicher Vollausschüttung) zu weiden, an derem langfristigen Überleben und Wohlergehen man nicht interessiert sei.

Welche Voraussetzungen müssen Kanzleien erfüllen, um zukünftig Innovationen – und hier insbesondere disruptive Innovationen – hervorbringen zu können?

Die Veränderungen, wie eben angesprochen, sind umfassend und finden in allen Dimensionen einer Professional Services Firm statt – also sind auch die Voraussetzungen für Innovation, denn darüber reden wir hier letztlich, ebenso umfassend. Die größte Schwierigkeit besteht sicherlich in dem Balanceakt zwischen einem (noch immer) profitablen traditionellen Kerngeschäft, wo ja auch Investitionen, z.B. in Effizienzmaßnahmen, notwendig sind und den Innovationsanstrengungen für neues Wachstum und neue differenzierende Angebote oder Geschäftsfelder. Und all das muss meist unter den anspruchsvollen Gehalts- und vor allem Tantiemeerwartungen von Professional Services Firms in ihren Partnerstrukturen gestemmt werden.

Dieser Balanceakt ist aber nicht unbekannt und gilt zu Recht als eine der größten Managementherausforderungen. Prof. Charles O’Reilly (Stanford) und Prof. Michael Tushman (Harvard) haben das Thema Anfang der 2000er intensiv untersucht. Sie haben festgestellt, dass bestimmte Strukturen besonders geeignet sind, um die richtigen Voraussetzungen für Innovation und Anpassungsfähigkeit („Exploration“) bei gleichzeitiger Optimierung und Effizienz („Exploitation“) zu schaffen. Dabei haben sie den Begriff der organisationalen Ambidextrie geprägt, der eben diese Fähigkeit beschreiben soll. 

In aller Kürze kann man das in etwa so zusammenfassen: Unter „Exploitation“ ist die Fokussierung auf Kosten und Profitabilität zu verstehen. Es geht meist um Effizienz und inkrementelle Innovation – und lässt sich in eher klassischen, formellen, gar mechanistischen und risikoaversen Strukturen managen. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Anforderungen der „Exploration“. Hier geht es um Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und schnelles Experimentieren in sehr unternehmerischen Strukturen. 

Es lohnt sich also einen vertiefenden Blick auf das Konzept der „Ambidexterity“ zu werfen, denn oft sind mittlere und natürlich v.a. große Kanzleien in mehreren und dabei sehr verschiedenen Marktumgebungen präsent. Erfolgreich in diesen Umgebungen zu sein, heißt sich ihrer bewusst zu sein und ihnen mit passenden strategischen und oft auch strukturellen Maßnahmen zu begegnen. Das Ganze ist aber keine einmalige Entscheidung, sondern bedarf ständiger Anpassung.Ich freue mich darauf, auf der Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession am 18. und 19. November zu diskutieren, wie dies gelingen kann.